STADT HEMMOOR Feuersteinkugel zurückgerollt ins Hemmoorium HEMMOOR MAGAZIN 22 / 2016 13 Ein wenig ist es her, da wurde im Dezember 1995 offiziell durch die Stadt Hemmoor das „Haus für Hemmoorer Geschichte“ in der Kroppscheune eröffnet. Erkannte man doch, dass es etwas Besonderes mit der Kreide und seiner Geschichte auf sich hat. Man erhielt als Dauerleihgabe einen der „Hemmoorer Eimer“ vom Landesmuseum Hannover. Die Räumlichkeiten wurden ergänzend mit Fossilien aus der Kreidegrube Hemmoor bestückt. Nach 10 Jahren kam eine kleine Gruppe von Kreidespezialisten in das Museum und war beratend tätig. Die Anregungen der Kreidefamilien-Mitglieder wurden dankend aufgenommen und meist mit bescheidenen Mitteln umgesetzt. Eine extra Feuersteinecke mit neuen Wandschaukästen wurde mit Fördergeldern des Wirtschaftsministeriums Niedersachsen inszeniert. Die Idee war schon immer da und erste Versuche, die Hauptattraktion dazu als Leihgabe zu erhalten, scheiterten im Jahre 2011. Beharrlichkeit und das Ziel nicht aus den Augen verlieren, brachten dann im Jahr 2013 Erfolg. Der vom Finder in den 1970ern geborgene Paramoudra ist nach einigen Standortwechseln wieder in Hemmoor, im heutigen Hemmoorium, angelangt. Hier bildet er mit Erläuterungen zu den Feuersteinexponaten den Mittelpunkt zu diesem Themenkomplex. 20 Jahre hat die Stadt Hemmoor nun schon diese museale Einrichtung und eine tolle Sammlung vorzuweisen. Wichtige Leihgeber, wie das Landesmuseum Hannover und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), unterstützen die Sammlung. Eine großartige Unterstützung erfahren wir auch immer wieder von ehemaligen Paläontologen und Geologen, ausgewiesenen Spezialisten zur Kreidezeit. Und das nicht nur durch zur Verfügung stellen von Objekten und Fachwissen, sondern wie Sie hier lesen werden, auch in Form von Textbeiträgen zu unserem „Flinti“. Die Feuersteinkugel erzählt Also - verehrte Betrachter, hoffentlich auch Bewunderer - Ihr möchtet gerne wissen, was es so mit mir auf sich hat? - Na gut: Über meine Entstehung kann ich Euch so wenig berichten, wie Ihr mir Eure Geburt und Eure ersten Lebensjahre schildern könnt. Da muss ich die Geowissenschaftler zu Worte kommen lassen. Diese haben sie – hoffentlich gut und richtig – erforscht: Vor etwa 70 Millionen Jahren, am Ende des sogenannten Erdmittelalters (Mesozoikum) bin ich entstanden, als die Kreidezeit auch mit dem Aussterben der Saurier endete. Zu dieser Zeit lagerte sich in Nordwesteuropa im dort vorhandenen Meer die Schreibkreide ab, wie Ihr diese sicher von den weißen Rügener Kreidefelsen kennt. Schreibkreide besteht aus den Kalkresten kleinster damals das Meer bevölkernden Lebewesen. In der abgelagerten Kreide wurden unter dem Meeresboden die Feuersteine durch Ausscheidung der Kieselsäure (Siliziumdioxid = SiO2, wie z. B. auch Glas) in Lagen parallel zur Schichtung gebildet, oft aber auch als recht dicke Säulen, die sich um Grabgänge gebildet haben sollen, sog. Paramoudras, ein aus dem Irischen stammender Begriff. Zu so einem Paramoudra gehörte ich, allerdings als extrem kugelförmige Ausbildung mit einem Durchmesser von fast 90 cm, einem Umfang von 2,73 m und einem Gewicht von 890 kg. Damit bin ich wohl die größte Feuersteinkugel weltweit! Von 1862 bis 1976 wurde dieser Kreidekalk in Hemmoor durch die Zement- Industrie abgebaut, womit auch der darin vorhandene Feuerstein - also auch ich - das Licht dieser Welt erblickte. Nun ist dieser alte, tief in die Erdoberfläche hineinragende Steinbruch längst mit Wasser vollgelaufen und wird neben der Fischzucht auch von Tauchern gern genutzt. Chemiker haben festgestellt, dass ich, wie gesagt, aus Kieselsäure bestehe, die allerdings mit anderen Stoffen verunreinigt ist, was die zumeist graue Färbung verursacht. Mein Geburtsort ist also der Hemmoorer Kreideaufschluss, wo mich der Paläontologe Dr. FRIEDRICH SCHMID* 1974 entdeckte, mich mit großem Aufwand bis zur Oberfläche bringen und dann nach Hannover transportieren ließ. Dort, vor den Toren des damaligen Niedersächsischen Landesamtes für Boden Forschung (NLfB), in welcher mein Finder tätig war, bin ich zur ersten Schau aufgestellt worden. Dort lag ich nunmehr eine Weile im Freien, bis man mich auf Anregung des Hobbypaläontologen FRITZ J. KRÜGER aus Braunschweig in den dortigen Sammlungskeller brachte, weil mit Recht befürchtet wurde, dass ich durch Temperaturschwankungen und durch das Eindringen von Wasser in meine Poren und Spalten und möglicher Eisbildung im Winter, alsbald sehr leiden und womöglich zerbröckeln würde! Diese dunkle und einsamen Zeit im Sammlungskeller wurde beendet durch den damaligen Leiter des Museums „Natureum“ in Balje (nördlich Hemmoor), Herrn Dr. REINHARD KÖLMEL. Er entdeckte mich dort und veranlasste 1991 den Transport in sein Museum und zwar als Dauerleihgabe. Dies geschah auch zur Freude meines sich längst im Ruhestand befindlichen Entdeckers. Er fand, dass ich als wohl größte bisher bekannte Feuersteinkugel bestimmt ein sehenswertes Objekt im Museum darstellen würde. Dies wurde auch von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) so empfunden, die mich mit der Überschrift: „Die Hemmoorer Feuer- Steinkugel – damit könnten auch Riesen kegeln“ im Monat März 2014 als Sammlungsobjekt des Jahres ins Internet stellte. Dies geschah auf Veranlassung der Leiterin des Sammlungsbereiches, der Geowissenschaftlerin Frau Dr. CARMEN HEUNISCH. Dort sind auch zwei Fotos von mir abgebildet (eines aus Hannover, das andere aus Hemmoor) und zudem ein Foto vom Hemmoorer Kreidebruch mit den schichtgebundenen Feuersteinlagen und den senkrecht dazu stehenden Paramoudras. Sodann ist das erste von mir hergestellte Foto vor der BGR, ebenfalls auf Veranlassung von Frau Dr. CARMEN HEUNISCH, in dem Artikeln: „Die Hemmoor-Sammlung im Geozentrum Hannover“ erschienen, in welchem über die außerordentlich umfangreichen und nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführten Fossilaufsammlungen aus dem Hemmoorer Kreidebruch mit etlichen Fotos berichtet wird. Weiterhin auch noch für Euch vielleicht wissenswert der hervorragende Bericht über „Die Kreidegrube von Hemmoor“1. Darin enthalten u. a. auch Fotos vom ehemaligen Aufschluss mit dem gesamten über 140mmächtigen Profil sowie das erste Foto von mir durch H. KOLLE. Doch nun wurde Anfang 1995 durch den leider bereits verstorbenen Kinderarzt LOTHAR RAHN in Hemmoor ein kleines, aber sehenswertes Museum mit dem Namen „Haus für Hemmoorer Geschichte“ gegründet und mit geologischen, paläontologischen und auch archäologischen Funden aus der näheren Umgebung reichhaltig bestückt. Ab diesem Zeitpunkt befand mein Finder es jedoch für richtig, dass ich aus dem Natureum bei Balje in meine Heimat nach Hemmoor, nämlich in das jetzt „Hemmoorium“ genannte Museum zurückkehren sollte. Doch das Natureum wollte mich verständlicherweise als besondere Attraktion allzu gern behalten. Nach Änderung des Ausstellungsplanes für das Natureum durch die neue Leiterin (Frau Dr. CLIVIA HÄSE) und weiterhin auf eindringliches Bitten meines Finders war es jedoch im Mai 2013 endlich möglich, die Heimreise zu meinem Geburtsort anzutreten. Dort wurde ich dann nach einer kleinen Pressekonferenz, mit dicken Freudentränen in den Augen meines Finders und Geburts-Helfers empfangen und begrüßt mit den Worten: „Da bist du ja endlich wieder!“ (Dies geschah auch in Anwesenheit des Ersten Samtgemeinderates WOLFGANG POIT und Frau Dr. med. ANNE RAHN, der Ehefrau des verstorbenen Museumsgründers.) Hier komme ich - wie Ihr Besucher sehen könnt - seit meinem Auffinden etwas gealtert und ergraut zur Ruhe. Von hier, aus dem „Hemmoorium“, holt mich doch ziemlich sicher keiner mehr fort! *Inzwischen Prof. Dr. FRIEDRICH SCHMID-WALLIS, der auch diese Geschichte für uns aufgeschrieben hat. 1 FRITZ J. KRÜGER (in: WERNER K.WEIDERT: Klassische Fundstellen der Paläontologie, Bd. 1, Goldschneck-Verlag, S.105-114). Tjark Petrich Ortsheimatpfleger
VB_Hemmoor_April2016
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